11/06/2025 0 Kommentare
Predigt vom 01. Juni 2025 zu 650 Jahre Schulzendorf - Bleiben im Wandel
Predigt vom 01. Juni 2025 zu 650 Jahre Schulzendorf - Bleiben im Wandel
# Predigten CN

Predigt vom 01. Juni 2025 zu 650 Jahre Schulzendorf - Bleiben im Wandel
Superintendent Dr. Christian Nottmeier
Jubiläumspredigt am 1. Juni 2025
Jesus Christus, gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit — über dieses, ja, etwas trutzige wie trotzige Wort also nun diese Jubiläumspredigt zu 650 Jahren Schulzendorf.
Das legt für ein Jubiläum auch einen didaktisch sinnvollen Dreischritt nahe: der Blick zurück, eine Bestandsaufnahme für das Heute und schließlich der Blick in die Zukunft. So ungefähr müsste auch eine Jubiläumsrede aufgebaut sein. Es geht um das Bleibende und den Wandel — um das, was sich durchzieht, und das, was sich verändert. Und das ließe sich, jenseits der Pflichten eines Ortschronisten, am Beispiel von Schulzendorf durchaus gut zeigen.
Einerseits ist Schulzendorf ein ganz normales märkisches Dorf, das — wie so viele — erstmals 1375 im Landbuch Karls IV. erwähnt wird. Dieses Landbuch entstand, als eine vom Kaiser geforderte Auflistung aller Titel und Rechtsansprüche im Kurfürstentum Brandenburg erstellt werden sollte. Übrigens wird darin keine Kirche erwähnt — es ging dabei allerdings auch nicht um Gebäude —, wohl aber ein Pfarracker, der dem Unterhalt der Geistlichkeit dienen sollte. Vermutlich hat es da — die Siedlungsgeschichte ist sicher älter als 1375 — schon eine Holz- und später eine Feldsteinkirche gegeben.
Andererseits aber ist Schulzendorf, im Gegensatz zu vielen anderen märkischen Dörfern, heute durchaus weltberühmt. Viele Millionen Menschen kennen das Schloss, seitdem es vor einigen Jahren eine prominente Rolle in einer der erfolgreichsten Netflix-Serien spielte. Damengambit, ganz wesentlich in Berlin und Brandenburg gedreht, zeigt in den ersten Folgen das Schulzendorfer Schloss — wenngleich es in der Serie in Kanada liegt und kein Schloss, sondern ein Waisenhaus darstellt.
Landbuch und Netflix — das ist doch was. Und dazwischen eine wechselvolle Geschichte der Grund- und Lehnsherren: zunächst märkische Junker wie Gersdorff und Rochow, später sogar die Hohenzollern selbst. Ab 1888 schließlich die Familie Israel — zunächst Moritz Israel und bis 1939 dessen Sohn Richard Israel. In dieser Zeit begann auch die weitere Siedlungsgeschichte, jenseits von Gut, Kirche und altem Dorf — auch durch Verkäufe aus dem Besitz des Rittergutes.
Richard Israel, jüdischen Glaubens, verstand sich — wir sind jetzt im dunklen Teil der deutschen Geschichte — als guter Preuße und Deutscher. Zeitlebens war er stolz auf seine Freundschaft mit Paul von Hindenburg, dem er als Offizier und Adjutant während dessen Zeit als Chef der Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg gedient hatte. Doch das bewahrte ihn nach 1933 nicht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. 1939 musste er das Gut endgültig verkaufen. Gemeinsam mit seiner Frau nutzte er den größten Teil des viel zu geringen Erlöses, um seiner Familie die Flucht aus Deutschland zu ermöglichen. Er selbst und seine Frau wurden 1943 nach Theresienstadt deportiert, wo sie noch im selben Jahr ums Leben kamen.
Schulzendorf — mehr also als ein kleines märkisches Dorf, sondern ein Ort mit bewegter Geschichte. Und immer war die Kirche, oder besser: eine Kirche, dabei. Ob aus Holz oder Stein, als Patronatskirche und dann ab 1952 hier, in dieser Kirche im neuen Ortsteil. Immer war eine Kirche mit dabei — in allen Verstrickungen, im Wandel und auch in Zeiten der Umnutzung. So ist das mit den Kirchen — selbst wenn man sie zunächst nur als Gebäude betrachtet. Sie sind dabei: gestern, heute und auch in Zukunft. Sie gehören zum Ortsbild, verbinden sich mit den eigenen Wegen — oft dann doch auch mit der eigenen Biografie und persönlichen Erlebnissen, guten ebenso wie schweren. Kirchen sind Anker in der eigenen Biografie, ganz gleich, wie man zur Kirche als Institution oder zum Glauben steht.
Doch Kirche ist mehr als ein Gebäude. Der Verfasser des Hebräerbriefs hält davon jedenfalls wenig, weil er weiß, dass alles dem Wandel der Zeit unterliegt: „Wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir“, so schreibt er.
Damit verlagert sich der Blick von dem, was war, auf das, was ist. Kirchen haben dann Hinweis- und Verweischarakter. Sie verweisen auf das, was wir nicht in der Hand haben, auf einen Sinn, den wir nicht selbst machen können. Dafür steht jener Mensch Gottes, von dem es im Hebräerbrief heißt: Er ist, war und bleibt derselbe — jenseits aller Zeit und all unserer Vorstellungen von Zeit. Dafür steht dieses Wort Ewigkeit.
Die Kirche war immer dabei. Nicht nur als Gebäude. Sie war dabei im Guten und im Schweren, in Freude und in Schuld. Manchmal war sie vielleicht zu sehr verstrickt, zu sehr verbunden mit den Mächtigen. Was wohl der Pfarrer von Schulzendorf gedacht haben mag, als Richard Israel deportiert wurde, nachdem er das Schloss hatte verlassen müssen?
Vielleicht war und ist sie aber manchmal auch Zeichen der Hoffnung, Zeichen eines anderen Geistes. 1952 eine Kirche zu bauen — das war auch ein Zeichen gegen die Kirchenverfolgung der neuen Machthaber, die zur gleichen Zeit mit brachialer Gewalt gegen die kirchliche Jugendarbeit vorgingen.
Die Kirche war von Anfang an dabei. Und sie bleibt es. Wir wissen nicht, in welcher Gestalt. Wir wissen vielleicht auch nicht, in welchen Gebäuden. Aber die Kirche bleibt — nicht um ihrer selbst willen, sondern als Zeichen der Hoffnung. Als Zeichen für den, der mit uns geht: gestern, heute und in Ewigkeit.
Für den Menschen Gottes, in dem wir Gottes Zuwendung sehen können. Der spricht: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen“ (Hebr 13,5).
Diese Kirche bleibt. Für die Religion der Menschen. Für ihren Sinn für Gott und das Unendliche. Mit Wort, Trost und Sakrament. Im Dienst und im Zeugnis von der unbedingten Liebe Gottes zu den Menschen — zu allen Menschen übrigens.
Das fordert manchmal — nicht immer und nicht zu jedem Anlass — auch ein kritisches, ein mahnendes Wort zu dem, was uns als Menschen bewegt, auch in Politik und Gesellschaft. Dass auch das hier, aus christlichem, aus evangelischem Geist, heute in Schulzendorf geschieht — das ist gut und richtig so.
Amen.
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