Predigt vom 27.4.2025 zum Sonntag Quasimodogeniti in Zeuthen

Predigt vom 27.4.2025 zum Sonntag Quasimodogeniti in Zeuthen

Predigt vom 27.4.2025 zum Sonntag Quasimodogeniti in Zeuthen

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Predigt vom 27.4.2025 zum Sonntag Quasimodogeniti in Zeuthen

Predigttext: 1. Petr1, 3-9

Liebe Gemeinde!

Es war der erste Sonntag nach Ostern: Quasimodogeniti: „Wie neugeborene Kinder“, so der Name dieses Sonntags, sollen Christen begierig nach dem Wort des Heils sein. Am 8. April 1945, nur einen Monat vor Kriegsende, galt das für eine Gruppe von 11 Gefangenen in besonderer Weise. Unter ihnen war Dietrich Bonhoeffer. Mit ihren Wächtern waren sie am Vortag in Schönberg im Bayerischen Wald angekommen, auf dem Weg vom Konzentrationslager Buchenwald in das Lager Flossenbürg. Einer der Mitgefangenen, Hermann Pünder, vor 1933 ein wichtiger Politiker der katholischen Zentrumspartei und als Staatssekretär Leiter der Reichskanzlei, bat den evangelischen Pfarrer um einen Gottesdienst für die Gruppe. Bonhoeffer, so berichteten Augenzeugen, habe zunächst zurückhaltend reagiert. Aber alle aus der Gruppe – die meisten Katholiken, einer sogar Atheist – bestanden auf einem Gottesdienst. Bonhoeffer las so die Bibeltexte des Sonntags Quasimodogeniti, betete und predigte über das Wort der Herrnhuter Losungen für diesen 8. April 1945 aus Jesaja 53,5: „Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Neben dieses Wort vom leidenden Gottesknecht stellte er den Lehrtext des Tages aus dem 1. Petrusbrief: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung von den Toten.“ Es war der letzte Gottesdienst und die letzte Predigt, die Bonhoeffer halten sollte. Passion und Ostern traten in dieser Situation und dem, was in den nächsten Stunden folgen sollte, in eigentümlicher Weise zusammen.

Schon kurz nach Ende dieses Gottesdienstes zerbrach die österliche Hoffnung. Zwei Beamte in Zivil erschienen: „Gefangener Bonhoeffer, fertig machen, mitkommen.“ Bonhoeffer packte seine wenigen Sachen zusammen. Er ließ sein einziges, ihm noch verbliebenes Buch – eine Ausgabe von Plutarchs „Von großen Griechen und Römern“ – im Schulsaal als letzten Gruß an Freunde und Familie zurück. Seinem Mitgefangenen Payne Best sagte er: „Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens.“ Bonhoeffer glaubte fest, ein neugeborenes Kind Gottes zu sein. Die beiden Männer umarmten sich. Bonhoeffer bat ihn noch um Grüße an seinen Freund George Bell, den Bischof von Chichester. Dann wurde er nach Flossenbürg gebracht. Nach einem eiligen standgerichtlichen Verfahren wurde er dort am 9. April 1945, morgens zwischen 6 und 7 Uhr mit weiteren fünf Mitverschwörern hingerichtet. Hitler persönlich hatte diese Morde bereits am 5. April 1945 angeordnet.

Anders als manch anrührende Schilderungen, die auf den KZ-Arzt des Lagers zurückgehen, war der Tod Bonhoeffers vermutlich einsam und grausam. Einen Galgen oder eine Treppe zur Richtstätte hat es wohl nicht gegeben. Wie bei vielen Mitverschörern des 20. Juli 1944, die in Berlin-Plötzensee ermordet wurden, muss man sich eher einen Haken an der Wand mit einem Balken vorstellen, an dem die Verurteilten nackt aufgehängt wurden. Es war ein qualvoller Tod. Genau so war es von den Machthabern, war es von Hitler gewollt. Auch die letzte Hoffnung, der letzte Rest Menschlichkeit, sollte gebrochen und vernichtet werden.  

Bonhoeffers Glaubensgewissheit, dass all dies – auch in dieser Grausamkeit – für ihn ein Beginn sei, findet ihren Grund auch in den Predigtworten jenes 8. April 1945. „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung von den Toten.“ Dass Bonhoeffer bereit war, seine Worte wie sein Leben mit dem Tod zu bezeugen, machte ihn bald zu einer lebendigen Hoffnung für viele andere Menschen. Bischof George Bell, den er noch grüßen ließ, nannte den Freund in einem Gedenkgottesdienst Ende Juli 1945 erstmals einen christlichen Märtyrer.  

Wer heute London besucht, findet Bonhoeffer dort noch heute als Märtyrer wieder. Gut sichtbar als Statue in einer der gotischen Nischen am Westportal der Westminster Abbey in London. Seit 1998 trotzt Dietrich Bonhoeffer so Wind und Wetter. Entschlossen blickt er nach vorne. Das Gesicht wirkt ernst und bestimmt. Ein wenig unnahbar sieht er aus, wie er so über die Menschen unter ihm hinwegschaut. Aus Stein ist er gehauen, wie für die Ewigkeit bestimmt. Als Märtyrer und Zeugen des christlichen Glaubens im 20. Jahrhundert ehrt die anglikanische Kirche damit den deutschen Pfarrer und Widerstandskämpfer. Als einen Menschen, der aus seinem christlichen Glauben Konsequenzen gezogen hat, die ihn schließlich das Leben kosteten – eine lebendige Hoffnung.

Ob sie ihm gefallen würde, diese Statue? Ein Heiliger, das wollte er nicht werden, so schrieb Bonhoeffer 1944 noch aus dem Gefängnis. Und er erinnerte sich, wie er 13 Jahre vorher einen französischen Pfarrer getroffen hatte. Beide damals Mitte 20, hatten sie darüber gesprochen, was sie einmal werden wollten. Ein Heiliger, so hatte der Franzose gesagt. Bonhoeffer antwortete bescheidener: „Ich möchte glauben lernen.“ Auf seinem weiteren Lebensweg hat er sich von der Vorstellung eines besonders „heiligen Lebens“ dann noch mehr entfernt.  Nein, „erst in der vollen Diesseitigkeit“ habe er glauben gelernt, schreibt Bonhoeffer. Indem er sich auf die Aufgaben um ihn herum eingestellt habe. Diese volle Diesseitigkeit bedeutete für Bonhoeffer, im Widerstand gegen den Nationalsozialismus Verantwortung zu übernehmen. Er schreibt: „dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Mißerfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben.“ Wer das tue, so Bonhoeffer weiter, der „werfe sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist Umkehr; und so wird man ein Mensch und ein Christ.“

Bonhoeffer schrieb diese Zeilen einen Tag nach dem misslungenen Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944, ohne eine Spur von Verzweiflung. „Ich bin dankbar, dass ich diesen Weg habe gehen können“, schreibt er.

Wenn Bonhoeffer von Auferstehung und Ostern, von Hoffnung und Zuversicht redet, dann spannt er beides zusammen: die in aller Ambivalenz anerkannte Eigenständigkeit dieser Welt, in der es gilt, als Christ für andere zu leben. Und die Perspektive der Osterbotschaft, in der diese Welt im Horizont des Osterglaubens getragen ist. „Von der Auferstehung her leben – das ist Ostern“, so heißt es in einer seiner Osterbetrachtungen. Und weiter: „Die Überwindung des Sterbens ist im Bereich menschlicher Möglichkeiten, die Überwindung des Todes heißt Auferstehung. Nicht von der ars moriendi, sondern von der Auferstehung her kann ein neuer, reinigender Wind in die gegenwärtige Welt wehen.“ Auf diesen Wind hat Bonhoeffer in seinem Tun und Vertrauen gesetzt. Hier lag die Quelle seiner Kraft, sich auf den Weg der Nachfolge Jesu zu begeben. Ganz in dieser Welt und eben deshalb ganz in Gott geborgen. Weil Jesus selbst sich ganz dieser Welt hingegeben hat. Ziel allen Glaubens, so hat Bonhoeffer es einmal formuliert, sei es, dass „Jesu Christi eigene Gestalt (…) im Menschen Gestalt gewinnt.“ 

Von Ostern her, von der Auferstehung her leben: Man kann Bonhoeffers Leben als genau so einen Versuch interpretieren. Bonhoeffer wirkt bis heute nicht durch einzelne Aspekte eines eigenen theologischen Systems. Er wirkt durch seine persönlichen Zeugnisse, die Briefe und Gedichte, die einen um Glauben, Vertrauen und Widerstandskraft ringenden Christen in seiner Zeit zeigen. Es ist die ganz außergewöhnliche Einheit von Glauben, Lehre und Leben, in der Bonhoeffer sich getragen, ja „wunderbar geborgen“ gefühlt hat, selbst in der Einsamkeit seiner Zelle, aber wohl ebenso auch bei jenem zu Beginn geschilderten letzten Ostergottesdienst. So ist er selbst zum Zeichen einer lebendigen Hoffnung geworden – bis heute. 

Von der Auferstehung her leben: Bei Bonhoeffer ist das Zentrum dieses Osterglaubens eine fast unerschütterliche Zuversicht, in Gottes Liebe geborgen zu sein. Das ist vielleicht die zentrale Erkenntnis, die sich in seinem Leben bewährt hat. So konnte er Trost finden in den biblischen Bildern, und ebenso in den vielen Chorälen Paul Gerhardts, den er so schätzte. Aber zugleich ist er – jenseits der religiösen Sprache des Glaubens – ein Meister der Umformung und der neuen Begriffe geworden. Seinem eigenen Osterglauben hat er in dem berühmten Gedicht „Von guten Mächten“ unvergessen Ausdruck gegeben und damit eine neue Form für die Beschreibung des christlichen Heils gegeben: Geborgen in der Liebe Gottes. So führte er ein Leben von Ostern her. Das fand seinen Niederschlag gerade in jenen Zeilen aus dem Jahresende 1944: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ So ist er „behütet und getröstet wunderbar.“ Das gibt Kraft, das ist Ostern, das nimmt das Leiden Gottes in der Welt ernst. Es ist diese Geborgenheit in Gottes Liebe, die Bonhoeffer dann dichten lässt: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern / des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, / so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern / aus deiner guten und geliebten Hand.“

Wie hatte Bonhoeffer geschrieben? Wer sich Gott in der ganzen Diesseitigkeit der Welt in die Arme werfe, der nimmt „nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, der wacht mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist Umkehr; und so wird man ein Mensch und ein Christ.“ Lebendige Hoffnung eben.

Amen.

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