03/12/2025 0 Kommentare
Predigt vom 30. November 2025 zum 1. Advent in der Kreuzkirche, Königs Wusterhausen
Predigt vom 30. November 2025 zum 1. Advent in der Kreuzkirche, Königs Wusterhausen
# Predigten CN

Predigt vom 30. November 2025 zum 1. Advent in der Kreuzkirche, Königs Wusterhausen
von Superintendent Dr. Christian Nottmeier
Predigttext Römer 13, 8-12
8 Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« 10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
11 Und das tut, weil ihr die Zeit erkannt habt, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. 12 Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.
Liebe Gemeinde!
Endlich wieder Adventszeit. Das fühlt sich gut an. Jetzt geht es endlich richtig los. Dabei hat der Advent schon länger Anlauf genommen. Christstollen kann man schon seit September in den Supermärkten kaufen, etliche Advents- und Weihnachtsmärkte haben schon seit Anfang oder Mitte November geöffnet. Es bringt gar nichts, das zu beklagen. Nein, es zeigt eher, welche Erwartungen bei vielen Menschen auch jenseits der klassischen Kirchlichkeit mit dieser Zeit verbunden sind. Das ist gut so. Denn es geht da um Hoffnung und Sehnsucht, um Liebe und Licht.
Und nun liegt da dieser Briefausschnitt von Paulus in unserem Briefkasten. Auch bei Paulus ist Advent, aber ganz anders, ganz kompakt, ohne Plätzchen und Glühwein Advent kompakt, als gleichsam konzentrierte Wartezeit, das ja, aber doch nicht in der Endlosschleife jährlicher Wiederholung. Paulus wartet auf das Kommen Christi, das noch zu seinen Lebzeiten anbricht. Er sehnt sich nach einer vollkommenen, gerechten und versöhnten Welt. Wo es kein Schmerz, keine Gewalt und keinen Krieg gibt. Diese Sehnsucht gibt ihm Kraft für das eigenen Leben. Und genau hier – so sieht es Paulus – soll sich der Glaube bewähren. Nicht mehr lange aber, fügt Paulus hinzu. Denn bald kommt Jesus der Herr wieder, wird die Welt vollenden. Ganz nah ist es für Paulus. So wie in der vorgerückten Nacht ein Schimmer des anbrechenden Tages schon zu erkennen ist. Ganz nah ist das Licht. Die Finsternis vergeht, das Licht kommt. Zeit also, sich vorzubereiten. Oder in den Worten des Paulus: den Herrn Jesus Christus anzuziehen und sich im Leben wie im Handeln ganz auf ihn einzulassen.
Allerdings, so sehr ich den Advent mag. In solcher nahen Erwartung wie Paulus lebe ich nicht. Ich muss mich erst sortieren, mich einlassen auf diese Worte, die da in meiner Mailbox liegen.
Dieses endzeitliche Ermahnen ist nicht das Meine – trotz Kriegen und Klimawandel. Auch kosmische Katastrophen machen mir allenfalls Angst. Die ist aber kein guter Ratgeber zu wirklich nachhaltigem Handeln. Aber ich weiß auch, ohne solche Endzeiten beschwören zu müssen: Das Ende kann schnell und unerwartet kommen. Die Erfahrung machen wir bei Krankheiten, unerwarteten Todesfällen, Verkehrsunfällen, Katastrophen. Aber dem Ende, das bei Paulus kein Ende, sondern ein neuer, verheißungsvoller und erwarteter Neuanfang ist, sehnt sich so wie Paulus wohl keiner entgegen. Wir spüren das nicht als freudige Erwartung, eher als angstvolle Erfahrung der Brüchigkeit und Endlichkeit unserer Existenz. Da liegt der Schmerz unseres Lebens.
Moralisch ist der Text irgendwie auch. Die Worte von der Liebesordnung der Gemeinde sind sicher ein hohes, bewundernswertes Ideal, aber sie müssen geerdet, heruntergebrochen werden. Sonst ist mir das viel zu moralisch und allenfalls Festtagsklischee. Aber geblieben ist die Sehnsucht danach, das Liebe einmal wahr wird, sich erfüllt und sei es nur zur Weihnachtszeit. Nicht nur, weil es irgendwie doch nett wäre und so schön zu dieser Zeit passt, sondern weil sich damit die Hoffnung auf Ganzheit und Erfüllung verbindet. Sehnsucht eben.
„Christus sollen wir anziehen“ – so bringt Paulus dann den Sinn der Liebe auf den Punkt, jenseits aller angeprangerten Ausschweifungen und Laster. Sich als Christen in dieser Welt also bewähren – das sagt Paulus also sogar, wenn er selbst das Ende der Zeiten nahe sieht. Kein Ruf zur frommen Rebellion, keine radikale Weltverneinung, sondern Bewährung in dieser Welt – wenn auch nur noch für kurze Zeit. Eben deshalb fasziniert es mich, dass Paulus nicht anfängt, mitten in der Nacht nur noch das Dunkle zu sehen, nur noch den Verfall und die Verderbnis anprangert. Er macht es genau andersrum: Mitten im Dunkel kann er schon das Licht des anbrechenden Tages sehen und davon reden. Christus anziehen – das kann sogar an die Taufe erinnern und gibt so Grund zur Hoffnung. Wer sich in der Adventszeit daran erinnern lässt, dass er schon in dem Christus getragen ist, auf dessen Ankunft er wartet, der kann dann vielleicht auch mit Paulus mitten in der Nacht vom Tage reden. So entsteht Hoffnung und Lebenszugewandtheit, weil ich von Gott und von der Welt noch etwas erwarten kann.
Von diesen Hoffnungen, aber auch von den Spannungen lässt sich „nur“ in Bildern reden, in Bildern, die etwas in uns zum Schwingen bringen. Die Advents- und Weihnachtszeit lebt von solchen Bildern, von symbolischer Sprache, die die Verwundbarkeit und die Sehnsucht unseres Lebens zum Thema machen, ohne diese Spannungen einseitig aufzulösen. Paulus gebraucht ein solches Bild: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe herbeigekommen.“ Keine andere Zeit wie diese lebt deshalb so vom Ineinander und Gegeneinander von Schmerz und Sehnsucht.
Besonders deutlich wird das in Jochen Kleppers Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“. In der Verbindung von biographischer Situation und der Aufnahme dieses paulinischen Bildes hat es eine eigentümliche Faszination. Mitten im Dunkel wird vom nahenden Tag gesungen, in tiefster Nacht das Licht des Morgensterns besungen, aber kein Leid, keine Träne dabei vergessen. Gleichwohl wird um Trost gerungen: „Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein, der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein“ (EG 16,1).
Hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung in den Zeiten des nationalsozialistischen Unrechts, zwischen dunkler Nacht und Morgenlicht bewegt sich Kleppers Gemütszustand. Mit Hanni, einer Jüdin, verheiratet, droht ihm immer wieder Schreibverbot und ihr die gesellschaftliche Isolation. Schon als der das Lied 1938 schreibt sind seine Aussichten düster.
Hin- und hergerissen zwischen Aufbegehren gegen das Unrecht, verbunden mit der Angst um seine Frau und sein Stiefkind, und seinem preußischen Patriotismus, bleibt er in Deutschland bis es für ihn und die Seinen zu spät ist, bis zum gemeinsamen Tod. Am 10. Dezember 1942 sieht er für sich und die seine Familie keinen Ausweg mehr in dieser dunklen menschenverachtenden Zeit. Die endgültige Ablehnung einer Ausreise für seine Familie nach Schweden und das totale Schreibverbot haben sein Leben zerstört. Alles ist aus. Da ist kein Licht in dunkler Nacht; jedenfalls nicht auf dieser Welt, nicht in dieser Zeit. Aber selbst in dieser schweren Stunde sucht der verzweifelt Halt in seinem Glauben: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben“, so lauten die letzten Zeilen in seinem Tagebuch.
Natürlich, das Schicksal Klepper ist nicht unsere Situation. Wir leben in anderen Zeiten. Aber einfinden können wir uns in seine von Paulus inspirierten adventlichen Worte im Dreiklang von Sehnsucht, Schmerz und Hoffnung. Wir können sie für uns fortschreiben, weil sie diesen Dreiklang aufnehmen. Und vielleicht richten sie uns so aus auf den, der da kommt im Advent. Das Kind, das geboren wird, im Stall von Bethlehem. In ihm wandert mit „wandert nun mit allen / der Stern der Gotteshuld.“ Denn der Tag bricht an, ganz gewiss.
Amen.
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