02/07/2024 0 Kommentare
"Ein feste Burg ist unser Gott" - Predigt zum Reformationstag
"Ein feste Burg ist unser Gott" - Predigt zum Reformationstag
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"Ein feste Burg ist unser Gott" - Predigt zum Reformationstag
Predigt im Gottesdienst zum Reformationstag am 30. Oktober 2020, Magdalenenkirche
Superintendent Dr. Christian Nottmeier
„Ein feste Burg ist unser Gott“ – dieses Lied gehört zum Reformationstag dazu. Die Marseillaise der Reformation hat Friedrich Engels es einmal genannt. Und das ist dieses Lied ja auch. Einander zugesungenes, zugesprochenes Gottvertrauen. Aber eben auch ein Kampflied – weniger blutig übrigens als die Marseillaise -, das die Gegenmächte benennt. Immerhin ist vom „altbösen Feind“ die Rede. Und in der 4. Strophe wird trotzig das Reich besungen, das uns doch bleiben muss – womit übrigens, gegen manche Fehlinterpretationen und Missbräuche des 19. und 20. Jahrhunderts, nicht das Deutsche Reich, sondern das Gottesreich gemeint ist. Dass ich zu Gott gehöre, das kann ich nicht verlieren. So meint Luther das.
Ich gestehe aber auch, dass es mir nicht immer leicht gefallen ist, diese Strophen zu singen. Ich mag das Gottvertrauen, die Zuversicht, aber manches aus diesem Lied kam mir immer sehr nach 16. Jahrhundert vor. Beim altbösen Feind hatte Luther gewiss auch den Papst und seine Kirche vor Augen. Wer von uns wollte das heute mit gutem Gewissen noch so verstehen, trotz aller Unterschiede zwischen den Konfessionen und Religionen? Und wer kann schon ohne weiteres die vierte Strophe singen (sie wird deshalb gerne auch ausgelassen). Wer kann mit Blick auf „Weib und Kind“ schon leichtfertig sagen: „Lass fahren dahin!“?
Das Lied ist übrigens 10 Jahre nach den Ereignissen des 31. Oktober 1517 entstanden, also deutlich nach der Veröffentlichung jener 95 Thesen, die nicht nur eine religiöse, sondern bald auch eine soziale Revolution auslösen sollten. In den 10 Jahren war viel passiert, Verwerfungen, Konflikte, Kriege. Und für Luther selbst auch: der mutige Auftritt vor Kaiser und Fürsten, die Flucht auf die Wartburg, die Neuordnung der Kirche in den reformatorischen Gebieten, der Streit auch unter seinen Schülern. Die Welt schien in Flammen, sie war in kurzer Zeit ein andere geworden.
Und dann wütet zu all dem auch noch die Pest in Wittenberg. Die Luthers öffnen ihr Haus für Freunde und Schüler, pflegen Kranke, müssen Frauen und Kinder zu Grabe tragen. Das Leid passierte eben nicht in fernen Weltgegenden, sondern ist mitten um sie herum präsent.
Luther schreibt übrigens auch theologische Traktate in dieser Zeit, geprägt durch die Erfahrung von Seuche und Pest. So das kleine Büchlein unter dem Titel „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“, in dem er die Frage zu beantworten versucht, wie man sich angesichts des Ausbruchs der Pest zu verhalten habe. Das ist gar nicht soweit weg sind von den Covid-19-Eindämmungsverordnungen unserer Tage:
„Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.“
Die Distanz wahren, aber trotzdem die Nähe bewahren, da wo sie solidarisch wie seelsorgerlich nötig ist – das ist keine schlechte Regieanweisung für eine Pandemie.
Aber neben dieser theologischen Klarheit, dem Versuch, klare Hinweise zu geben, Ruhe zu bewahren und eine funktionierende Bekämpfung der Pandemie zu organisieren, steht die eigene Zerrissenheit. Auch das ist uns dieser Tage nicht fremd. Es ist ja nicht so, dass das alles an Luther einfach so vorbeiging. So schreibt er in einem Brief an Nikolaus von Amsdorf am 1. November 1527, wie ihm zumute ist: „Draußen sind Kämpfe, inwendig Schrecken, und zwar herbe; auswendig Streit – inwendig Furcht.“
Auswendig Streit, inwendig Furcht. Mit diesen Gefühlen hat Luther zu kämpfen. Und mit diesen Gefühlen schreibt er vermutlich in genau dieser Zeit jenes Lied von der festen Burg. Dabei nimmt er die Bilder aus dem 46. Psalm auf, denkt aber vielleicht auch an seine Zeit auf der Wartburg. Ja, Gott als Fels, als Burg, die Schutz bietet. Luther schreibt sich mit diesem Bild seinen eigene Angst von der Seele, er schreibt und singt sich mit der zugleich komponierten Melodie Mut und Zuversicht zu. Kein Kampflied, sondern ein Trostlied versucht Luther zu schreiben.
In diesen Tagen lese und – wenn ich allein bin – singe ich dieses Lied Luthers noch einmal anders. Ich finde Trost in diesem Lied. Es kommt mir plötzlich noch einmal anders nahe.
Da ist der „altböse Feind“ oder die Teufel der Welt. Ich weiß nicht, ob wir – wie Macron gesagt hat – einen Krieg gegen das Virus führen. Aber in unserer deutschen Welt der Sicherheit, der Plan- und Machbarkeit ist Corona zweifellos ein großes Fragezeichen. Es zeigt die Verwundbarkeit unserer Sicherheit und unserer Ordnung. Es ruiniert die individuelle Lebensplanung von Treffen und Festen, von Urlauben und Reise. Es stürzt ganze Branchen in die Krise, vernichtet Lebens- und Berufsplanungen, unterbricht und verwirrt politische und gesellschaftliche Ideale. Plötzlich geht es manchen wieder um Abschottung, national oder auch regional. Und es bedroht den gesellschaftlichen Zusammenhalt, nicht nur in den sozialen Folgen, sondern auch den psychosozialen. Da wird nach Schuldigen gesucht. Trump spricht vom „China-Virus“, aber auch in unseren Diskussionen sind wir schnell mit vielleicht zu eindimensionalen Schuldzuweisungen bei der Hand. Und damit meine ich nicht nur die grassierenden Verschwörungstheorien, die bei der extremen Rechten wie der extremen Linken zu finden sind. Das Virus ist sicherlich kein Teufelswerk, aber es tut etwas, was in christlich-jüdischen Traditionen Eigenschaft des Teufels, des diabolos ist: es bringt die Dinge durcheinander, verwirrt die Begriffe, die ethischen Vorstellungen und stiftet so Unheil und Chaos. Und manchmal geschieht dann im Namen einer Religion, die auch von Liebe und Barmherzigkeit weiß, Schreckliches, wie uns die Ereignisse in Frankreich zeigen.
Das Virus wird aber auch zur Frage an Gott. Denn in seinen Auswirkungen können wir es nicht von uns fern halten. Es betrifft unseren Alltag, ohne dass wir selbst erkranken müssen. Sonst halten wir Leid gerne von uns weg, solange es uns nicht betrifft. Das ist menschlich, überlebensnotwendig. Hier funktioniert das nicht. Vielleicht grassieren deshalb die Verschwörungstheorien oder auch einfache Schuldzuweisungen. Wir müssen nicht daran glauben – Luther tat es noch – dass auch Seuchen von Gott geschickt werden. Aber wir müssen diese Erfahrung einer Pandemie zusammenbekommen mit unserem Bild davon, dass Gott doch ein liebender, ein gütiger Gott sein soll, ein Freund des Lebens, wie es oft nicht falsch, aber sehr leichthin gesagt wird.
Das Virus zeigt uns aber auch, dass es da zumindest eine Seite an Gott gibt, die wir nicht verstehen. Wo er sich uns mit seinem Wirken entzieht. Wo wir die Dinge nicht erklären können. Das ist vielleicht die Anfechtung, die jedem Glauben innewohnt, der sich nicht in Wunschdenken verliert. Es gibt Leid und Tod und Katastrophen. Unsere Mittel, sie zu wehren, sind begrenzt, endlich. Aber wir halten daran fest, dass Gott das Leben will, nicht den Tod. Die Bilder, die der Glaube dazu bereithält, sind Kreuz und Auferstehung. Leid und Tod sind im Glauben immer mitgedacht und im Blick. Glaube ist so auch ein trotziges Gegenanglauben, Gegenanhoffen, oft mit Zweifeln versehen und eigenen Fragen wie Schmerzen abgewonnen. Kein billige Vertröstung, sondern Trost, der um Anfechtungen, Verwirrung und Rückschläge weiß. Der auch die eigenen Grenzen, die Fehlerhaftigkeit des eigenen Tuns in Rechnung stellt und auf Vergebung hofft. Gerade jetzt, in diesen Zeiten, werden wir das brauchen, einander zu vergeben. Damit wir nicht verhärten. Damit diese Gesellschaft in ihrer Vielfalt und Diversität in der Krise nicht auseinanderfällt.
Dazu wir brauchen diese Bilder der unbedingten Hoffnung. Wir brauchen Bilder von Trost und Heil. Wir brauchen Orte, wo aber auch Angst, Schmerz und Verletzung thematisiert werden. Wir brauchen Bindung und Geborgenheit, Bildung und Diakonie (hier Dank an alle Mitarbeitenden). Als evangelische Kirche ist es unsere Aufgabe, gerade in dieser Zeit an der Seite der Menschen zu sein – wenngleich oft gerade in physischer, aber nicht in sozialer oder gar geistlicher Distanz.. Wir können es uns nicht leisten, uns auf uns selbst zurückzuziehen, erst recht nicht der Krise. Manche Debatte über Sinn oder Unsinn einzelner Aspekte der staatlichen Pandemiemaßnahmen kommen mir sehr gemeindlich-selbstbezogen vor. Aber als Kirche haben wir Verantwortung, nicht nur für uns und unsere Gemeindeglieder, sondern das Gemeinwesen, in dem wir leben, hier im Bezirk Neukölln wie im Landkreis Dahme-Spreewald (hier Dank an die Vertreter). Unser Gemeinwesen, unser Gemeinsinn, lebt auch von unserer religiösen Traditionen und Überzeugungen. Die bringen wir ein. Das muss nicht immer laut und triumphalistisch sein, als habe die Kirche eine klare Deutung der Krise zu bieten. Diese Krise ist gerade nicht eindeutig. Insofern halte ich nichts von der Debatte über das vermeintliche Schweigen der Kirche in der Krise. Vielleicht ist es gerade andersherum. Vielleicht ist es gerade auch der Zweifel, die Unsicherheit, die wenn sie zugegeben wird, wenn sie ausgesprochen werden kann, sich in Bildern der Hoffnung Bahn bricht. So ist es jedenfalls mit diesem Lied von Gott als Zuflucht und Burg. Kein Helden-, kein Kampflied, keine Marseillaise, sondern ein Trost- und Hoffnungslied. Weil solche Hoffnung, die auch um die Zweifel, die Gottesferne, das Leid weiß, der Seele gut tut. Sie kann sich einfinden, stärken, allein, aber auch in Gemeinschaft in diesem Lied und diesem Psalmwort, aber in Gebet und Handeln für unser Gemeinwesen. Denn: Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Und auch dies: wir sind in Gott geborgen. Das bleibt.
Amen.
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