02/07/2024 0 Kommentare
"EIN OFFENES OHR HABEN" - Interview mit Andrea Schwendner von Al Muntada
"EIN OFFENES OHR HABEN" - Interview mit Andrea Schwendner von Al Muntada
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"EIN OFFENES OHR HABEN" - Interview mit Andrea Schwendner von Al Muntada
Al Muntada unterstützt Menschen aus dem arabischen Raum, die geflohen oder zugewandert sind und in Berlin leben. Im Haus der Begegnung in der Morusstraße erhalten Ratsuchende schnell und unkompliziert Hilfe. Aber Begegnung ist in Coronazeiten nur sehr eingeschränkt möglich. Andrea Schwendner ist beschäftigt bei der Beratungsstelle Al Muntada im Diakoniewerk Simeon. Im Interview mit unserer Flüchtlingsbeauftragten Claudia Eichhorst spricht sie über die Probleme der E-Mail-Beratung, Vertrauensbildung am Telefon und erschwerte Zugänge zu Behörden:
Claudia Eichhorst: Woher kommen die Menschen, die Du bei Al Muntada berätst?
Andrea Schwendner: Die Männer und Frauen, die sich melden, kommen aus verschieden arabischen Ländern: viele aus Syrien, aber auch aus dem Libanon, aus Libyen oder dem Irak. Die meisten haben eine Fluchtgeschichte. Einige leben schon länger hier, andere sind erst vor kurzem eingereist. Die einen kennen wir bereits, andere nehmen zum ersten Mal Kontakt zu uns auf. Das hat sich auch in der Coroankrise nicht verändert.
Claudia Eichhorst: Verändert hat sich durch die Coronakrise aber sicher die Art der Beratung.
Andrea Schwendner: Durch die Kontakteinschränkung kann es natürlich keine persönliche Beratung hier, bei uns vor Ort, geben. Alle bereits vereinbarten Termine mussten abgesagt werden und wir können bis auf weiteres keine offene Sprechstunde mehr anbieten. Die Ratsuchenden rufen uns jetzt deshalb vermehrt an oder schicken E-Mails mit unterschiedlichsten Anliegen. Bei Menschen, die hier schon gut orientiert sind und die Abläufe durchschauen, kann diese aktuelle Form der Beratung ein Ersatz für die face-to-face Beratung sein. Aber in vielen Fällen kann das die Kommunikation mit einem direkten Gegenüber nicht ersetzen.
Claudia Eichhorst: Was geht im persönlichen Gespräch leichter als per E-Mail oder Telefon?
Andrea Schwendner: Natürlich ist die Vertrauensbildung einfacher und ein Kontakt schneller hergestellt, wenn man sich gegenseitig ins Gesicht schauen kann. Und obwohl ich selbst arabisch spreche: komplizierte Sachverhalte, besonders rechtlicher Natur, können am Telefon oft nur schwer erklärt werden. Manchmal stelle ich mir auch die Frage, ob eine Erklärung oder Beratung wirklich beim Gesprächspartner angekommen ist. Wenn mir dagegen jemand am Tisch gegenüber sitzt, zeigt mir seine oder ihre Mimik, ob ich wirklich verstanden wurde.
Andererseits sind viele Ratsuchende unsicher im Umgang mit der deutschen Schriftsprache. Damit ich ihnen bei ihren Fragen zu behördlichen Schreiben helfen kann, sind oft Rückfragen nötig, weil ich zusätzliche Angaben benötige. Ohne Kenntnis der genauen Sachlage kann ich keine Lösung für die Probleme anbieten oder kann nur eine ganz grundsätzliche Auskunft geben. Das kann im Einzelfall für beide Seiten sehr unbefriedigend sein.
Claudia Eichhorst: Sicher hat sich auch im Kontakt mit den Behörden einiges verändert?
Andrea Schwendner: Da müssen wir uns tatsächlich im Moment auf eine ganz neue Situation einstellen und die geänderten Zugangsregelungen und Verfügungen recherchieren, damit wir den Ratsuchenden mit ihren Fragen weiterhelfen können: Ich bin vor kurzem nach Berlin gekommen und möchte mich anmelden, das Bürgeramt ist aber geschlossen. Wohin wende ich mich? Wo kann ich jemanden erreichen, wenn mein Visum oder meine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist? Kann ich beim Landesamt für Einwanderung eine Verlängerung beantragen? Welche Behörde nimmt Anträge entgegen? Muss ich mich dafür online registrieren? Es gibt jetzt bei jeder Behörde neue Corona-Regelungen.
Claudia Eichhorst: Wie erlebst du die Menschen in dieser Situation?
Andrea Schwendner: Sie sind vor allem verunsichert. Ich beobachte, dass die Menschen wenig rausgehen und dass sie die Details der Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus nicht unbedingt kennen. Sie haben verstanden „Bleiben Sie zu Hause!“ und das tun sie auch - oft in sehr beengten Wohnverhältnissen. Sie wissen nicht, dass sie sehr wohl zum Beispiel mit ihren Kindern einen Spaziergang machen dürfen. Die Angst, sich falsch zu verhalten oder sich und ihre Familien zu gefährden, ist nach meinem Eindruck verbreitet. Zwar werden mittlerweile von mehreren öffentlichen Stellen Informationen zum Umgang mit Corona in vielen Sprachen, auch in Arabisch, angeboten. Aber mein Eindruck ist, dass sie oft von denen gelesen werden, die hier schon gut orientiert sind. Andere orientieren sich eher an in ihrer Community gängigen Internetseiten. Wichtig ist, dass wir weiter für die Ratsuchenden da sind, ein offenes Ohr für ihre diversen Anliegen haben und gemeinsam nach Lösungen suchen können. Auch wenn das unter den gegebenen Umständen oft recht umständlich ist.
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